Nietzsche hat der kynischen “Hilfstugend” der Ent- bzw. Umwertung der Münze mit seinem berühmten Satz “Umwertung aller Werte” die moderne schöne Form gegeben. Aber habe ich ihn und die Kyniker richtig verstanden? Novalis gibt der Umwertung aller Werte eine radikale Form.
Die einzige Tugend der Kyniker ist mit Parrhesia die totale Selbstverwirklichung, die “Wahrheit über sich kennen und sagen”. Die “Umwertung aller Werte” habe ich immer verstanden als Hilfstugend, um sich selbst in einer Zwangsgesellschaft, dem Staat, zu erkennen und gegen die herrschenden Werte, die mit Marx immer die Werte der Herrschenden sind, zu bestehen.
Doch das sagten weder die alten Kyniker, noch steckt das Wort “herrschende” im Satz von Nietzsche. Stattdessen redet Nietzsche von allen Werten. Bei Novalis nun
hebt alle lebendige Moralität damit an, daß ich aus Tugend gegen die Tugend handle
Novalis, Aphorismen
Und weiter: “damit beginnt das Leben der Tugend, durch welches vielleicht die Kapazität ins Unendliche zunimmt, ohne je eine Grenze, d. i. die Bedingung der Möglichkeit ihres Lebens zu verlieren.” [a.a.O] An anderer Stelle schreibt er über die Moral:
Die mephitischen [ekelhaft stinkenden KH] Dünste der moralischen Welt verhalten sich anders, wie ihre Namensvettern in der Natur. Jene steigen gern in die Höhe, da diese am Boden hängen bleiben.
Aus der Staatslehre, Glauben und Liebe
Ähnlich wie später Nietzsche verachtet Novalis die christliche Sklavenmoral und die moralische Gesetzgebung überhaupt. Tugend ist bei ihm, wie bei Nietzsche, jenseits von Gut und Böse. Wir sollen unser eigener Gesetzgeber werden, wobei ja Novalis Selbst, wie bei den Kynikern von Gott geprägt ist. Die Grenze unserer Freiheit liegt also nicht in Gesetzen oder in der liberalen “Freiheit des anderen”, sondern sie ist unendlich, bleibt aber Tugend, wenn sie Parrhesia ist. Diese Freiheit der Selbstverwirklichung in der Umwertung aller Werte geht also weit über den Widerstand gegen die Zwangsgesellschaft hinaus, beinhaltet sie aber.